Kunstforum Nr 219: Anselm Reyle – Mystic Silver • Deichtorhallen Hamburg |
von Hajo Schiff:
Es könnte eine Qualitätswarnung sein: Das Kassenhäuschen dieser Ausstellung stammt aus dem Spreepark im Plänterwald, dem verlassenen und verwilderten Vergnügungspark in Berlin-Treptow. Dann geht es vorbei an sorgsam arrangiertem Abfall aus dem Groß-Atelier von Anselm Reyle und seinem Produktionsteam bevor hinter der ersten Raumtrennung in der hohen ehemaligen Markthalle die edel glänzende Kunst zur Wirkung kommt: Kunstvoll zerknautschte Silberfolie in metergroßen, farbig eingefärbten Acrylglaskästen in Magenta, Anthrazit und blau.
Dem Kunstmarktstar Anselm Reyle, seit 2009 auch Professor an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, geht es um den Zusammenhang und die gegenseitige Abspieglung von von High und Low. Wie das mit x-fachen Reflektionen funktioniert, zeigt gut „Eternity“, eine türkis-metallic glänzende Figuration aus der Serie der „Afrikanischen Skulpturen“. Vorbild für dieses Zwei-Meter-Monstrum sind einst von kolonialen Kunstlehrern angeregte kleine Seifenstein-Plastiken, bei denen afrikanische Kunsthandwerker für den Verkauf an Touristen die abstrakte Formensprache der späten europäischen Moderne zitieren. Reyle ließ diese Airport-Art von einem Industriebauer vergrößert nachbauen und in das traditionell noble Künstlermaterial Bronze gießen. Aber damit nicht genug. Ein industrieller Oberflächen-Veredler gab der Bronze dann den makellos spiegelnden farbigen Überzug. Dazu steht das Ganze noch auf einem Sockel, der wiederum mit Resopal verkleidet ist, das edles Holz imitiert. Und das hinter einem weißlackierten Zäunchen, das den nötigen Abstand garantiert. So viel Aufwand, so viel Fake, so viele Arbeitsschritte, die den vorherigen wieder auslöschen, das ist theoretisch schon beeindruckend. Und doch ist das kurze, staunende Lächeln, das diese Arbeit erzeugt, teuer erkauft. Es ist ein bisschen wie bei Jeff Koons und seinem riesenhaft vergrößerten und perfekt gestalteten amerikanischen Kitsch: Abgesehen vom drastisch erhöhten Kunstmarktwert hat das Objekt keine wesentlich neue Bedeutung.
Vielleicht kommt man dieser Art post-post-modernen Kunst näher, wenn man solcherart Edel-Recycling aus der Verantwortung entlässt, Kunst zu sein und einfach als Ornament und Design betrachtet. Das würde auch zu Reyles Manie passen, immer wieder serielle Fassadenelemente der DDR-Architektur zu kopieren oder gleich im Original zu präsentieren. Und dazu, dass der Gesprächspartner im Katalog ein führender Design-Theoretiker ist. Gestalterisch ist Reyles Umgang mit dem schwierig zu bespielenden Großraum der Deichtorhalle recht überzeugend: Mit eben derselben Spiegelfolie, die sonst in seinen edlen Kästen eingesperrt ist, hat er den ganzen Raum in einen hellen Tageslichtraum und einen dunklen Part geteilt. Dort befinden sich Collagen aus buntem Neonabfall, LED-hinterleuchtete Eisenelemente und ein leuchtfarbengelb gestrichener alter Heuwagen, der in jeder Galerie irritierend wäre, hier aber unter Schwarzlicht gut aufgehoben ist. Käme noch Musik dazu, dann würde das ganze Arrangement als Design einer populären Dorfdiskothek richtig gut abgehen.
Sämtliche von Anselm Reyle in den über achtzig Arbeiten herbeizitierten Dinge und gefundenen Formen sind ja abgesehen von der Umkontextualisierung durch das Ausstellungshaus nicht neu, sondern einfach zu Ornamenten entleert, die mögliche Sinn-Fragen unbeantwortet auf die Besucher zurückspiegeln. Befindet man sich zwischen zwei mit Leuchtfarbe gestrichenen Wänden, klärt ein Wandtext auf, nun sei man in ein in den Raum erweitertes Colour-Field-Painting eingetreten. Das ist ein kluger kunsthistorischer Verweis, aber eben auch – negativ formuliert – sehr ausgeklügelt. Denn mit solch einer Referenzfähigkeit ausgestattet, könnte man sich über jede beliebige, frisch gestrichene Wand freuen. Fazit: Eine schöne Ausstellung. Aber relativ belanglos.
Dreisprachiger Katalog im Distanz Verlag mit Texten von David Ebony und Dirk Luckow und einem Interview von Friedrich von Borries mit dem Künstler.