Die 54. Biennale

»DIE 54. BIENNALE VERLIERT SICH IM ÜBERFLUSS.«
artist Essay von Hajo Schiff:


Autos in die Werft, Panzer ins Fitnessstudio und Bilder auf Garderobenstangen: Soviel Kunst war nie: 89 Nationen, 37 offizielle kollaterale Events und dazu noch etwa die gleiche Anzahl privater Initiativen. Das ist ebenso anregend, wie unüberschaubar: Jeder hat etwas anderes gesehen und keiner kann noch einen Überblick gewinnen.

Dieses großartige aber schwer verdauliche Überangebot macht jeden Besuch zu einer individuellen Entdeckungsreise und relativiert jede mögliche Kritik.

Kann sich im rastlosen Versuch, das Ganze in Venedig Gebotene zu erfahren, noch die titelgebende Illumination einstellen? Denn mit ILLUMInations hat Bice Curiger die von ihr kuratierte Biennale etikettiert: Erleuchtung und Aufklärung fordert dies ein, betont die Beiträge der einzelnen Nationen und fragt nach der Möglichkeit einer neuen, übergeordneten »Nation« der Kunst.

Autos in die Werft, Panzer ins Fitnessstudio und Bilder auf Garderobenstangen: Soviel Kunst war nie: 89 Nationen, 37 offizielle kollaterale Events und dazu noch etwa die gleiche Anzahl privater Initiativen. Das ist ebenso anregend, wie unüberschaubar: Jeder hat etwas anderes gesehen und keiner kann noch einen Überblick gewinnen. Dieses großartige aber schwer verdauliche Überangebot macht jeden Besuch zu einer individuellen Entdeckungsreise und relativiert jede mögliche Kritik. Kann sich im rastlosen Versuch, das Ganze in Venedig Gebotene zu erfahren, noch die titelgebende Illumination einstellen? Denn mit ILLUMInations hat Bice Curiger die von ihr kuratierte Biennale etikettiert: Erleuchtung und Aufklärung fordert dies ein, betont die Beiträge der einzelnen Nationen und fragt nach der Möglichkeit einer neuen, übergeordneten »Nation« der Kunst.

Als Reverenz an die Bedeutung von Lichtsetzung und Innovation in der Malerei hat sie in den zentralen Pavillon der Giardini aus der Accademia und der Kirche S. Maria della Salute drei Bilder von Tintoretto († 1594) verpflanzt. Als »Parkett«- Chefredakteurin und ausgewiesene Theoretikerin schafft sie es sogar, von Heiligenscheinen bei Tintoretto eine Lichtmetapher zu dem dahinter gezeigten Film »Five Thousand Feet is the Best« von Omer Fast zu finden, einem langen und komplex verschachtelten Film über ein Interview mit einem Kampf-Drohnen- Operator. Doch wer weiß schon, dass im US-Militärjargon die zum Zielscannen modulierten Laserstrahlen »Light of God« genannt werden? Da könnte es ja auch zum Konzept passen, dass Ende Juni in Anish Kapoors Himmelfahrts-Installation »Ascension« in S. Giorgio Maggiore der Blitz eingeschlagen ist.

Ist es ein gelungenes Bild der »Erleuchtung«, wenn Roman Ondák im zweiten, nahezu völlig dunklen Raum des Arsenale die Rettungskapsel präsentiert, mit der die verschütteten chilenischen Bergleute letztes Jahr wieder ans Licht kamen? Oder bloß medienafine Geisterbahn? Ohne ausführlichste Hintergrundinformationen bleibt die Licht-Metaphorik teils zu demonstrativ, wie bei der Glühbirneninstallation von Philippe Parreno am Eingang des zentralen Pavillons, oder erscheint etwas aufgesetzt, selbst bei an sich zum Thema passenden Arbeiten wie dem schönen, hier »Tintoretto-farbig« bezeichneten »Ganzfeld-Piece« von James Turell im Arsenale. Oft aber ist der Zusammenhang kaum nachvollziehbar. Arbeitet denn nicht alle Kunst mit Licht? 

Die neue Weltmacht China und seine Sonderzonen Macao und Hong Kong, Taiwan sowie die halboffiziellen und alternativen Initiativen chinesischer Akteure bringen es auf rund zehn, teilweise übervolle und mangasatte Spielstätten mit Hunderten von Künstlern. Am schlimmsten aber treibt es Italien. Es berieselt die Besucher mit Kunst, als ginge es um eine Dauerwerbesendung im Nachmittagsfernsehen. Der durchaus renommierte Kunsthistoriker, skandalträchtige TV-Moderator und Kulturpolitiker Vittorio Sgarbi zeigt in wilder Hängung übereinander an den Wänden und auf einer Art Garderobenstangensystem hintereinander, irgendwo zwischen Basar und futuristischer Provokation, Arbeiten von weit über 200 Künstlern. Diese wurden aber nicht von ihm, schon gar nicht von Kuratoren, Kritikern oder Galeristen ausgewählt, sondern von ebenso vielen Schriftstellern, Poeten, Filmemachern, Architekten oder Musikern, also bekannten Intellektuellen, die ausdrücklich sonst nichts mit der Welt der Kunst zu tun haben sollten. So hat beispielsweise der Architekt Mario Botta eine lebensgroße Figur einer nackten schwarzen Frau mit Cello ausgewählt, aus Bronze, täuschend echt bemalt, und in höchsten Tönen als sublime Darstellung der Schönheit von Mensch und Musik gelobt. Kurz – das Ergebnis von Sgarbis Auswahlmodell ist eine Orgie geschmacklicher Verwirrung samt naiven Blumen, nackten Frauen unten und Porträts von Berlusconi und Sgarbi selbst.

Das zweimal in Neon geschriebene Motto der Ausstellung ist: »L’arte non è cosa nostra«. In der Lesart »Kunst ist eben nicht unsere Sache« ließen sich ja noch Rückschlüsse auf den Zustand Italiens im mafiaaffinen Vergnügungsreich des Herrn Berlusconi ziehen oder man könnte kopfschüttelnd hinausgehen und alles vergessen. Aber es ist leider viel schlimmer: Gelesen als L’arte non è »cosa nostra« – Kunst ist nicht die Mafia – ist das Ganze eine lärmende Absage an die Moderne überhaupt und eine explizite Kriegserklärung an jegliche Kriterien. Hier werden alle Errungenschaften der Kunst in den letzten hundert Jahren, vom white cube bis zum Ortsbezug, von der Abstraktion zum Konzept, von der Konsensabhängigkeit bis zur Wissenschaftsaffinität aufgekündigt.

Die Kritiker und Kuratoren, die idealerweise dem Publikum mit der grundsätzlich nötigen Vermittlung beistehen, sehen sich als Betrüger und Verdummer diffamiert. Wer sich so positioniert, sei es aus politischem Kalkül oder purem Zynismus, bedient einen lächerlichen und gefährlichen Populismus, der zudem deutlich an die Diktion der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts erinnert. Das Geflecht zwischen Kuratoren und Galeristen, Kritikern, Sammlern und Auktionshäusern mag manchmal undurchschaubar scheinen, mit Ortsbezug sei nur an Francois Pinault erinnert, Sammler, Auktionshausbesitzer und Betreiber zweier venezianischer Locations, in denen sich so manches Stück von früheren Biennalen wiederfindet. Doch Sgarbis Alternativmodell der Auswahl ist ja genauso rätselhaft, bloß eben inkompetenter. Ohnehin ist eine Absage an die Fachleute im Kunstbetrieb schon deshalb unsinnig, da jeder Betrieb immer auf Fachleute angewiesen ist – sicher wird auch Vittorio Sgarbi sein Auto zur Reparatur kaum in eine Werft fahren, nicht mal in Venedig. Dass auf der anderen Seite des Hafenbeckens noch weitere Hallen mit Arbeiten von etwa 200 Kunststudenten (je zehn aus den 20 italienischen Akademien) zum Projekt gehören, dazu Präsentationen von etwa 1000 weiteren Künstlern in den Regionen Italiens und zusätzlich in den weltweit 89 italienischen Kulturinstituten, zeigt den ebenso titanischen, wie sinnlosen Anspruch dieses populistischen Erfassungsversuchs zum 150. Jahrestag des italienischen Staates: Teilhabe aller um den Preis der Beliebigkeit nach dem Muster vollverdummender Fernsehshows.

Die neue Weltmacht China und seine Sonderzonen Macao und Hong Kong, Taiwan sowie die halboffiziellen und alternativen Initiativen chinesischer Akteure bringen es auf rund zehn, teilweise übervolle und mangasatte Spielstätten mit Hunderten von Künstlern. Am schlimmsten aber treibt es Italien. Es berieselt die Besucher mit Kunst, als ginge es um eine Dauerwerbesendung im Nachmittagsfernsehen. Der durchaus renommierte Kunsthistoriker, skandalträchtige TV-Moderator und Kulturpolitiker Vittorio Sgarbi zeigt in wilder Hängung übereinander an den Wänden und auf einer Art Garderobenstangensystem hintereinander, irgendwo zwischen Basar und futuristischer Provokation, Arbeiten von weit über 200 Künstlern. Diese wurden aber nicht von ihm, schon gar nicht von Kuratoren, Kritikern oder Galeristen ausgewählt, sondern von ebenso vielen Schriftstellern, Poeten, Filmemachern, Architekten oder Musikern, also bekannten Intellektuellen, die ausdrücklich sonst nichts mit der Welt der Kunst zu tun haben sollten. So hat beispielsweise der Architekt Mario Botta eine lebensgroße Figur einer nackten schwarzen Frau mit Cello ausgewählt, aus Bronze, täuschend echt bemalt, und in höchsten Tönen als sublime Darstellung der Schönheit von Mensch und Musik gelobt. Kurz – das Ergebnis von Sgarbis Auswahlmodell ist eine Orgie geschmacklicher Verwirrung samt naiven Blumen, nackten Frauen unten und Porträts von Berlusconi und Sgarbi selbst.

Das zweimal in Neon geschriebene Motto der Ausstellung ist: »L’arte non è cosa nostra«. In der Lesart »Kunst ist eben nicht unsere Sache« ließen sich ja noch Rückschlüsse auf den Zustand Italiens im mafiaaffinen Vergnügungsreich des Herrn Berlusconi ziehen oder man könnte kopfschüttelnd hinausgehen und alles vergessen. Aber es ist leider viel schlimmer: Gelesen als L’arte non è »cosa nostra« – Kunst ist nicht die Mafia – ist das Ganze eine lärmende Absage an die Moderne überhaupt und eine explizite Kriegserklärung an jegliche Kriterien. Hier werden alle Errungenschaften der Kunst in den letzten hundert Jahren, vom white cube bis zum Ortsbezug, von der Abstraktion zum Konzept, von der Konsensabhängigkeit bis zur Wissenschaftsaffinität aufgekündigt.

Die Kritiker und Kuratoren, die idealerweise dem Publikum mit der grundsätzlich nötigen Vermittlung beistehen, sehen sich als Betrüger und Verdummer diffamiert. Wer sich so positioniert, sei es aus politischem Kalkül oder purem Zynismus, bedient einen lächerlichen und gefährlichen Populismus, der zudem deutlich an die Diktion der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts erinnert. Das Geflecht zwischen Kuratoren und Galeristen, Kritikern, Sammlern und Auktionshäusern mag manchmal undurchschaubar scheinen, mit Ortsbezug sei nur an Francois Pinault erinnert, Sammler, Auktionshausbesitzer und Betreiber zweier venezianischer Locations, in denen sich so manches Stück von früheren Biennalen wiederfindet. Doch Sgarbis Alternativmodell der Auswahl ist ja genauso rätselhaft, bloß eben inkompetenter. Ohnehin ist eine Absage an die Fachleute im Kunstbetrieb schon deshalb unsinnig, da jeder Betrieb immer auf Fachleute angewiesen ist – sicher wird auch Vittorio Sgarbi sein Auto zur Reparatur kaum in eine Werft fahren, nicht mal in Venedig. Dass auf der anderen Seite des Hafenbeckens noch weitere Hallen mit Arbeiten von etwa 200 Kunststudenten (je zehn aus den 20 italienischen Akademien) zum Projekt gehören, dazu Präsentationen von etwa 1000 weiteren Künstlern in den Regionen Italiens und zusätzlich in den weltweit 89 italienischen Kulturinstituten, zeigt den ebenso titanischen, wie sinnlosen Anspruch dieses populistischen Erfassungsversuchs zum 150. Jahrestag des italienischen Staates: Teilhabe aller um den Preis der Beliebigkeit nach dem Muster vollverdummender Fernsehshows.

Für Sgarbi gilt eigentlich nichts außer der italienischen Renaissance, er ist ein erklärter Gegner der Moderne und mit seinem vorzugsweise in TV-Shows aufbrausenden Temperament mehrfach wegen Beleidigungen vorbestraft. Auch anlässlich der Eröffnung mit nacktem Pornostar suchte Sgarbi erneut Streit mit den Doyens der italienischen Kunstkritik, Germano Celant und Achille Bonito Oliva. Indem sie die Fachleute der Kunst ausschließt, weder die Künstler noch die Werke ernst nimmt und die sonstige Elite Italiens bis zur Lächerlichkeit vorführt, vernichtet diese absurde Veranstaltung die Kunst als Ganzes – und das natürlich mit dem geschickten Anspruch, sie in ganzer Breite vorbehaltlos zu zeigen und allen zugänglich zu machen. Doch »bloß alles« zu zeigen ist müßige Tautologie, der jedes Argument fehlt. In Zeiten universeller Informationszugänglichkeit werden qualitative und bedeutende Filter gebraucht, nicht der Verweis auf weitere Massen an Material. Auswahl konstituiert Bedeutung: Aus Tönen zur Musik, aus Worten zur Literatur, aus der Kunstproduktion zur thematischen Ausstellung und ins Museum. Trotz eines Körnchens Wahrheit bedarf der ja auch hierzulande populäre Vorwurf, die Kunst mit ihren Kuratoren und Galeristen sei noch über die Marktmechanismen hinaus wesentlich als ein mafiöses System zu beschreiben, des energischen Widerspruchs – besonders wenn er an so prominenter Stelle vom Gastgeberland der ältesten Biennale der Welt offiziell vorgetragen wird. 

Was Kuratoren wirklich leisten, wird nicht weit entfernt vorgeführt: In der alten Halle des Isolotto im Arsenale findet sich eine der gelungensten Gruppenschauen dieser Biennale. Alfons Hug, der Leiter des Goethe- Instituts in Rio de Janeiro und ehemalige Kurator zweier Biennalen in São Paulo hat als Gastkurator für das Italienisch-lateinamerikanische Institut eine Ausstellung zum 200jährigen Jubiläum der Unabhängigkeit Südamerikas gemacht. War jene Institution einst berüchtigt für seltsame Ausstellungen mit gemalten Papageien aus Paraguay ist hier jetzt unte dem Titel »Entre Siempre y Jamás« (zwischen immer und niemals) ein höchst eindrucksvoller Einblick in Kunst, Kultur und Probleme des Kontinents gelungen. 20 Künstlerinnen und Künstler aus Südamerika und vier weitere, deren Thema diese Region ist, zeigen von den Wasserstraßen des Amazonas bis zu den Indianern Feuerlands eine Welt zwischen alter Kultur und großstädtischer Verwahrlosung, zwischen Ausbeutung und Hoffnung. Videos zeigen, wie Simon Bolivars Texte mühsam auf Englisch gelesen werden, wie Obama mit Südamerikanern Tango tanzt (samt politischem Kommentar aus dem Off), wie eine Beinlose von einem Blinden getragen wird, den sie führt. Es gibt Schmuck für Arme, Parfüm mit dem Duft der Kriegsangst und eine Edelstahlschale voller Indianerzähne. Der Pavillon zeigt sogar den goldenen Löwen der Biennale. Aber es ist nur eine billige südamerikanische Kopie – den echten, der ihr auf der 51. Biennale 2005 als beste junge Künstlerin verliehen worden war, hatte die guatemaltekische Künstlerin Regina José Galindo aus Geldmangel verkauft. Ein schönes, ein leises Statement zum Preis des Gepriesenwerdens, zu Kulturwirtschaft und Weltwirtschaft.

Und wie verteilt die Jury selbst dieses Jahr die Löwen? Einigermaßen überraschend. Mit dem deutschen Pavillon wird unverständlicherweise ein sentimentales Rührstück prämiert. Provokant schamloses öffentliches Sterben und posthume Ehrung wird mit künstlerischer Gestaltung verwechselt. Als Ehrung für Schlingensief wäre der Preis noch zu verstehen, aber der beste Nationen-Pavillon ist der deutsche nun wirklich nicht. Zudem wird weit über jede intelligente Grenzverschiebung hinaus eine Inszenierung gelobt, die nicht nur mit dem Theatralischen spielt, sondern ganz direkt ein transponiertes, drei Jahre altes Stadttheater-Bühnenbild ist.

Selbst der Preis für den besten Künstler geht mit Christian Marclay nicht gerade an ein Kunstwerk im engeren Sinne – auch wenn man sich daran gewöhnt hat, dass dergleichen umfangreiche Filmstudien wie »The Clock« schon lange nicht mehr im Kino verortet sind. Immerhin betreibt die cineastisch schwelgerische Fleißarbeit einer 24-stündigen Filmcollage die intelligente Vergegenwärtigung, die fiktive Zeit der Uhren auf der Leinwand mit der Realzeit der uhrengetriebenen Betrachter zu synchronisieren – sofern Zeit überhaupt beanspruchen kann, real zu sein. In dieser erzwungenen Unmittelbarkeit ist es sicher eine Arbeit von starker Attraktion und großer Nähe zum Publikum. 

Auch das Herbeischleppen von gebrauchten Mülleimern aus mehreren anderen Städten ins Arsenale durch die in Berlin lebende Schwedin Klara Lidén wird von der Jury lobend hervorgehoben. Es ist eine Post- Fluxus-Geste, die angesichts des völligen Fehlens von Ironie an so manch anderer Stelle auch die Lesart beiläufiger Verachtung zumindest zulässt. Wie ernst und aufwendig hingegen neu hinzugekommene Länder wie Saudi-Arabien oder Bangladesh darum ringen, Problemen und Themen eine künstlerische Form zu geben, zeigt deutlich, dass Kunst heute ein extrem weites Feld mit kaum mehr vergleichbaren Regeln ist. So auffällig bei den 83 Künstlerinnen und Künstlern in Bice Curigers Auswahl das hohe Maß an Kunstreflexion, an Meta- und Diskurskunst ist, so sehr bemühen sich andere darum, Filter, Medium und Ausdruck der politischen Situation zu sein. Dramatisch ist der Wandel im ägyptischen Pavillon: Statt wie sonst schon mal Keramik, Teppiche und Wüstensand gibt es die Video-Dokumentation einer Aktion von Ahmed Basiony und Bilder vom Tahrir-Platz in Kairo, wo der Künstler erschossen wurde. Auch »The Future of a Promise«, eine kuratierte Ausstellung arabischer Kunst, vermittelt nachdrücklich aktuelle Fragestellungen und Umbrüche in Nahost. 

Der US-amerikanische Pavillon mit dem zum Joggen umgenutzten Panzer und den Turnereien ehemaliger Olympioniken auf Business- Class-Sesseln ist in seiner US-Kritik selbst so uramerikanisch ausgefallen, dass es wirklich als Lehrstück taugt. Hochachtung verdient der israelische Pavillon mit Sigalit Landaus gleichermaßen künstlerisch wie politisch beeindruckenden Arbeiten. Und gewiss Yael Bartana, die erste Nicht-Polin, die den polnischen Pavillon bespielt: Ihre Installation mit drei Filmen zum »The Jewish Renaissance Movement in Poland« sind ein mehrschichtiges politisches Konzeptkunstwerk, das auf allen Ebenen beeindruckt. 

Was ein Unterschied zum kalkulierten Irrsinn des italienischen Pavillons! Montenegro hingegen nutzt seinen Auftritt, um die Überlassung der einst größten Kühlschrankfabrik des Südostens in Cetinje an Marina Abramovic zwecks Schaffung eines Welt-Performance- Zentrums zu verkünden – eine große Geste für ein kleines Land. Und soll es schließlich schön und absolut perfekt inszeniert sein, dann bietet sich der Pavillon Österreichs an. Allerdings darf man bei Markus Schinwald davon ausgehen, dass es schon etwas problematisch und manieriert, labyrinthisch und zwanghaft zugeht: Bauliche Interventionen und gemalte Prothesen, barocke Tischbein-Skulpturen und Durchblicke auf die Beine der Besucher, dazu Filme, die traumatische Situationen choreographieren. Passt schon, dass der Freud ein Wiener war.

Was Venedig immer eine Reise wert macht, ist die unkopierbare Kombination aktueller Kunst gleich welcher Art mit der Würde der Tradition dieser tausendjährigen Stadt. Ohne diesen Metatext der gegenseitigen Spiegelung wäre all das nur die Hälfte: Bilder vor zerschlissenen Seidentapeten, eine kubisch geschnittene Melone in einem mit Chinoiserien ausgemalten Boudoir, künstlerisch-wissenschaftliche Hühnerzuch samt Marmorhuhnbüst im Pantheon der Venezianischen Wissenschaftsakademie oder die hohe Eleganz mit der, von Germano Celant kuratiert, die Sammlung Prada ihre Kunstwerke in den prunkvollen Palast Cá Corner della Regina integriert hat.

Im Übrigen erscheint die größte Kunstschau, die die Lagune je sah, von den hitzigen Köpfen bis zu den nassen Füßen (Aqua alta) in der Überfülle eher ratlos. Aus einer immer schon wegen ihrer Vielgesichtigkeit interessanten Großausstellung ist eine Art weltweiter Kunstmarkt geworden, an dem sich mit hinreichend Geld fast jeder beteiligen kann. Vielleicht haben ja die von Sgarbi so geschmähten Kuratoren nicht zu viel, sondern zu wenig Entscheidungsmacht? Entscheidungen treffen aber im jenseits einzelner Großereignisse immer weniger staatlich unterstützten Kunstbetrieb mehr denn je die Sammler: Manches aus dem venezianischen Großaufgebot wird sich in Privatsammlungen wiederfinden, anderes leider oder zu Recht vergessen werden. Doch die spätestens abends bei Spritz und Prosecco vorgetragene Meinung der Kritiker wird bei einem letztlich doch kommerziell ausgerichteten Event weitgehend folgenlos bleiben und sicher keine neuen Kriterien erzwingen. Aber wirkliche Erleuchtung naht: In zwei Jahren wird sich endlich der Vatikan an der Biennale beteiligen.