RIkUO UEDA

Katalogtext
RIkUO UEDA 植田 陸雄.

von Hajo Schiff:


Alle kennen Wind. Wind weht wo er will und wann er will. Er kennt keine Grenzen. Er ist ein Symbol für Freiheit – Winds of Change. Doch wer den Wind ob seiner Freiheit schätzt, sollte auch um seine Unzuverlässigkeit wissen. Wind ist nicht zu erzwingen – auf Wind muss man warten. Und wenn er dann kommt, kommt er zuweilen mit unerwarteter Kraft. Doch das nehmen wir dem Wind nicht übel. Das ist kein Wind mehr – das ist ein Sturm. Und ab Stärke 12 ist es eben ein Orkan. Brise, Bö, Tornado: Es gibt viele Worte für das, was Wissenschaftler schlicht von der Gradientkraft bewirkte Ausgleichsströmung der Luft zwischen einem Hoch- und einem Tiefdruckgebiet nennen.t.

Alle kennen Wind. Aber wie sieht er aus? Wie wird Wind wesenhaft? Als Hauch auf der Haut? Als bäumebiegende Berserkerkraft? Als zarter Gruß an die Zweige des einsamen Baumes, der Hiroshima überlebt hat?

Wind wirkt Wunder. Er kühlt in südlicher Mittagshitze, er umschmeichelt die Haare der Geliebten, er schreibt wiegende Wogen in das fast reife Getreidefeld ein. Er bringt fremde Gerüche mit sich und den Dunst ferner Feuchtigkeit. Im Frühling trägt er befruchtende Pollen, im Herbst verteilt er fliegende Samen. Und er kann sogar sprechen: Eine emotionale, sehr alte Sprache, ein Zischeln und Pfeifen, ein Heulen und Brausen… 

Alle kennen Wind. Aber wie ist Wind zu fassen? Man kann ihn einspannen, Mühlen zu drehen, hinter einem Segel das Schiff zu schieben oder im Jetstream das Flugzeug zu beschleunigen. Man kann ihn auch fangen, in Dosen, wie es Rikuo Ueda tat. Doch dann ist er tot. Oder er schläft zumindest und ist nur durch die Kunst zu wecken.  

Alle, die Wind kennen, sollten Rikuo Ueda kennen. Der 1950 geborene Künstler aus Osaka ist Windkünstler. Dass sich in seinem Namen die Wortwurzel „ue“ findet, die indogermanisch den Umkreis des Begriffs „Wehen“ bezeichnet, ist etwas, was nur außerhalb seiner Heimat auffallen kann. Aber es ist passend. Denn dieser Künstler verhilft seit dreizehn Jahren dem Wind zu einem differenzierten Ausdruck: Er gibt ihm eine eigene Schrift. 

Wie kommt etwas so Mächtiges wie der Wind dazu, etwas so Feines wie ein Blatt Papier mit Notaten zu versehen? Rikuo Ueda baut dafür Apparaturen, Scharniere zwischen der Natur und der Kunst. Manchmal wirken sie kompliziert, sind aber so einfach wie möglich konstruiert und oft aus gefundenem Material improvisiert. Zur Übertragung ins Sichtbare gibt es meist eine Art Schirm oder Segel und eine lange Stange, ähnlich einer Angelrute, mit der Bewegungen eingefangen, verstärkt und verdeutlicht werden. Ein Halter am Ende der von weitem schon selbst strichhaft wirkenden Stange trägt den Stift oder Pinsel, dem durch eine andere Halterung das Blatt entgegengebracht wird. Dabei kann das Blatt draußen in der Nähe des sich bewegenden natürlichen oder künstlichen Elements sein, es kann aber auch trocken geborgen sein in einem eigens gebauten Gehäuse, im Atelier oder der Galerie.

Doch meist bittet Rikuo Ueda den Wind nicht direkt, mit seinen Konstruktionen Spuren zu hinterlassen. Oft nutzt er die Vermittlung durch Büsche und Bäume und lässt deren windbewegtes Geäst schreiben, was der Wind im Vorbeiwehen erzählt. Für den Bau solcher Apparaturen ist es gut, dass der Künstler/Übersetzer sich etwas auskennt mit dem Leben der Pflanzen. Er muss berücksichtigen, dass Zweige im Tageszyklus verschieden hoch stehen, er muss einschätzen, wie weit Feuchtigkeit die Äste beeinflusst und er muss für das gewünschte Endergebnis seiner Kunst entscheiden, ob er zulässt, dass farbige Säfte aus Früchten austropfen und die Zeichnung verändern. Es gibt viele Varianten in der Notation der Spur des Windes.

Der große abstrakte Beweger scheint ganz wie von selbst seinen kosmischen Kode zu notieren. Doch sogar der alles verbindende Atem des Windes ist auf den Künstler als Übersetzer angewiesen – ohne Rikuo Uedas sinnreiche und empfindsam eingestellte Maschinerien käme keine Verbildlichung zustande. Woran liegt es, dass dieser Selbstausdruck des Windes so sehr wie asiatische Kalligraphie aussieht? Fließen buddhistische und schintoistische Gedanken so sehr in die künstlerische Konstruktion ein, dass der Wind nur in asiatischer Schrift darauf antworten kann?

Vielleicht ist ihm sympathisch, dass die asiatischen Schriften noch einen Rest der alten Bildlichkeit bergen, nicht, wie die europäischen Buchstaben, nur arbiträre Vereinbarungen sind. Und so sieht die Windschrift für Europäer eben so aus, wie japanisch/chinesische Schriftzeichen. Doch wie es im Meer dieser Zeichen auch ganz alte und ganz seltene, wieder unbekannt gewordene gibt, so schreibt der Wind eine Schrift, die vielleicht schon vor den Menschen da war.

Das alles in der Welt in der einen oder anderen Weise auf die kosmische Ordnung verweist, glauben nicht nur Buddhisten. Und doch findet sich das Beachten kleinster Elemente um die Harmonie des Kosmos zu erhalten, heute eher in der Gedankenwelt Asiens – wenn auch immer seltener in der ökonomischen und ökologischen Praxis. Der Atem des Windes, der Strom des Wassers, der Gesang der Zikaden – nie ist er derselbe und doch ist er immer gleich. Der Satz „Alles fließt“ findet sich gleichermaßen bei dem alten Griechen Heraklit und in der buddhistischen Lehre. Alles ist in ständigem Wandel – und bleibt sich doch im Wesen treu. Nur so können wir uns einen Begriff machen und Dauer ahnen..

Die vom Wind für Rikuo Ueda gezeichneten Bilder scheinen zufällig. Aber nicht nur in der Zufallsschönheit liegt ihr Reiz, nicht nur darin, zu den Notationen des Windes poetische Assoziationen zu finden oder darin, zu glauben, dass der Wind etwas zu offenbaren hätte, die ein irgend Eingeweihter lesen könnte. Der Kern ihrer Schönheit ist, ein kleines Zeichen des großen Kosmos zu sein.